Nephronophthise

Hintergrund:

Die NPH ist eine angeborene tubulointerstitielle Nierenerkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang. Erstmals wurde sie von Fanconi et al. 1951 als sog. „familiäre, juvenile Nephronophthise“ beschrieben. Der Ausdruck Nephronophthise leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet „Schwund der Niere“, was sich auf die im Krankheitsverlauf abnehmende Funktion und Größe der Nieren bezieht. Die Inzidenz liegt in Europa bei ca. 1:50.000. Hiermit zählt die NPH zu den „Seltenen Erkrankungen“. Schätzungsweise sind in Deutschland 200-300 Patienten betroffen. Dennoch stellt sie mit etwa 10% die häufigste hereditäre Ursache eines chronisch terminalen Nierenversagens im Kindes- und Jugendalter dar.

Zusammen mit den polzystischen Nierenerkrankungen ADPKD und ARPKD, der HNF1ß-Nephropathie und seltenen Syndromen (Bardet Biedl Syndrom u.a.) zählt die NPH zur Gruppe hereditärer zystischer Nierenerkrankungen. Obgleich es sich hierbei um individuelle Krankheitsbilder mit unterschiedlichen Phänotypen und Prognosen handelt, existieren erhebliche klinische und genetische Überschneidungen. Diese erschweren eine eindeutige Zuordnung und individuelle Beratung betroffener Patienten zuweilen erheblich. Allen genannten Erkrankungen gemein ist ein einheitliches pathophysiologisches Prinzip: Die Genprodukte aller verantwortlichen Zystengene exprimieren am sogenannten Primärzilium, einer antennenartigen Zellorganelle, die fast auf jeder Körperzelle zu finden ist. Mutationen betroffener Zystengene führen zu strukturellen und/oder funktionellen Störungen des Ziliums, so dass zystische Nierenerkrankungen heute zur Gruppe der Ziliopathien gezählt werden.

Klinik

Klinisch präsentieren NPH-Patienten typischerweise eine Kombination aus Polyurie/Polydipsie und progredienter Niereninsuffizienz. Ursächlich hierfür ist ein ab dem frühen Kindesalter reduziertes tubuläres Urinkonzentrationsvermögen. Weitere Symptome wie Wachstums- und Gedeihstörungen sowie eine anhaltende Einnäss-Symptomatik sind nicht obligatorisch, können aber einen Hinweis auf das Vorliegen einer NPH geben. Urinveränderungen finden sich typischerweise nicht. Das Auftreten einer Proteinurie sowie einer arteriellen Hypertonie sind zumeist erst mit Erreichen einer terminalen Niereninsuffizienz zu beobachten.  Abhängig vom Alter beim Auftreten der terminalen Niereninsuffizienz werden drei klinische Verlaufsformen unterschieden:

  • juvenile NPH: terminales Nierenversagen um das 13. Lebensjahr
  • infantile NPH: terminales Nierenversagen vor dem 4. Lebensjahr
  • adoleszente NPH: terminales Nierenversagen um das 19. Lebensjahr

Sonographie

Sonographisch stellen sich initial meist normal große Nieren mit angehobener Parenchymechogenität und verwaschener Mark-Rinden-Differenzierung dar. Im weiteren Krankheitsverlauf finden sich häufig kleine Nieren mit stark angehobener Echogenität. Außerdem sind zu diesem Zeitpunkt bei ca. 50% der Patienten Zysten am kortikomedullären Übergang nachweisbar. Das Fehlen von Zysten schließt eine NPH aber keinesfalls aus, zumal Zysten zumeist erst im Terminalstadium der Erkrankung detektierbar sind. Diesbezüglich unterscheidet sich die NPH deutlich von anderen hereditären zystischen Nierenerkrankungen. Anders ist dies bei der infantilen NPH: Hier finden sich häufig bereits intrauterin vergrößerte und zystisch durchsetzte Nieren.

Histologie

Aufgrund der heutzutage schnellen und zuverlässigen gendiagnostischen Möglichkeiten, kann auf eine Nierenbiopsie zur Diagnose-Sicherung einer NPH mit wenigen Ausnahmen verzichtet werden. Falls sie dennoch durchgeführt wird, ist das typische histologische Bild der juvenilen NPH geprägt von einer tubulären Atrophie, wechselweise verdickten und ausgedünnten tubulären Basalmembranen, kortikomedullären Zysten, diffuser interstitieller Fibrose sowie peritubulären lymphozytären Infiltraten. Das histologische Bild der infantilen NPH unterscheidet sich dahingehend, das es histologische Charakteristika von NPH (Tubulus-Atrophie, interstitielle Fibrose) und  polyzystischen Nierenerkrankungen  (kortikale Zysten, vergrößerte Nieren) vereint.

Genetik

Die NPH ist genetisch stark heterogen. Seit der Entdeckung von NPHP1 im Jahr 1997 konnten bis heute 19 verschiedene NPHP-Gene identifiziert werden. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Vielmehr verbleiben trotz der bemerkenswerten Fortschritte der vergangenen Jahre auch weiter 40-60% der NPH-Fälle genetisch ungeklärt. Die häufigste genetische Veränderung ist eine homozygote Deletion im NPHP1-Gen,  die für etwa 20-25% der NPH-Fälle verantwortlich ist. Alle weiteren Genmutationen machen nur knapp 10% der NPH-Erkrankungen aus. Mutationen bestimmter NPHP-Gene prädisponieren für das Auftreten extrarenaler Krankheits-Manifestationen.

Extranenale Organmanifestationen:

Die NPH kann sich phänotypisch sowohl als isolierte renale Erkrankung als auch als komplexe Multiorganerkrankung präsentieren. Am häufigsten sind Veränderungen der Augen, der Leber, des Skeletts oder des ZNS. Je nach zugrundeliegender Genveränderung werden extrarenale Veränderungen in 10-40% der NPH-Patienten beobachtet (siehe assoziierte Ziliopathien).

Nephronophthise - tabellarisch zusammengefasst
Kurzbeschreibung Die Nephronophthise ist eine autosomal rezessiv vererbte tubulo-interstitielle zystische Nierenerkrankung und mit ca. 10% der Fälle die häufigste genetische Ursache eines terminalen Nierenversagens im Kindes -und Jugendalter. In Abhängigkeit vom Alter bei Eintreten einer terminalen Niereninsuffizienz werden folgende 3 Verlaufsformen unterschieden:  infantile, juvenile und adoleszente Nephronophthise.
Hauptmerkmale
  • Polyurie, Polydipsie
  • chronisch progrediente Niereninsuffizienz
  • kleine bis normal große hyperechogene Nieren mit in 50% der Fälle Zysten am kortiko-medullären Übergang
Ergänzende Befunde
  • Kleinwuchs, Enuresis, Anämie
  • Art. Hypertonie typischerweise nur bei infantiler Nephronophthise
Manifestation
  • Infantile Nephronophthise: terminale Niereninsuffizienz vor dem 4. Lebensjahr
  • Juvenile Nephronophthise: terminale Niereninsuffizienz um ca. das 13. Lebensjahr
  • Adoleszente Nephronophthise: terminale Niereninsuffizienz um ca. das 19. Lebensjahr.
Vererbung Autosomal rezessiv
Pathogenese Nicht abschließend geklärt. Bislang 19 bekannte NPHP Gene kodieren für Proteine, die am sog. Zilien-Zentrosomen-Komplex lokalisiert sind. Die NPH wird daher zur Gruppe der Zilienerkrankungen/Ziliopathien gezählt.
Verlauf, Prognose Je nach Subform langsam progrediente Niereninsuffizienz; abhängig vom zugrundeliegenden Gendefekt auch extrarenale Organmanifestationen (Leber, Augen, ZNS…) möglich.
Therapie Derzeit ist keine kausale Therapie verfügbar. Es erfolgt lediglich eine symptomatische Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz. Im Verlauf ist eine Nierenersatztherapie und ggf. eine Nierentransplantation erforderlich.


Bisher bekannte Nephronophthise Gene

Krankheit OMIM Phenotypnummer Gen OMIM – Gennummer alternativer Phänotyp und OMIM Phenotypnummer
1 NPHP1 256100 NPHP1 607100 JBTS4 609583
SLSN1 266900
2 NPHP2 602088 INVS 243305
3 NPHP3 604387 NPHP3 608002 MKS7 267010
4 NPHP4 606966 NPHP4 607215 SLSN4 606996
5 NPHP5 609254 IQCB1 609237 SLSN5 609254
6 NPHP6 610189 CEP290 610142 BBS14 615991
JBTS5 610188
LCA10 611755
MKS4 611134
SLSN6 610189
7 NPHP7 611498 GLIS2 608539
8 NPHP8 RPGRIP1L 610937 COACH syndrome 216360
JBTS7 611560
MKS5 611561
9 NPHP9 613824 NEK8 609799
10 NPHP10 SDCCAG8 613524 BBS16 615993
SLSN7 613615
11 NPHP11 613550 TMEM67 609884 COACH syndrome 216360
JBTS6 610688
MKS3 607361
12 NPHP12 613820 TTCB21B 612014 SRTD4 613819
13 NPHP13 614377 WDR19 608151 SRTD5 614376
SLSN8 616307
14 NPHP14 614844 ZNF423 604557
15 NPHP15 614845 CEP164 614848
16 NPHP16 615382 ANKS6 615370
17 NPHP17 615630 IFT172 607386 SRTD10 615630
18 NPHP18 615862 CEP83 615847
19 NPHP19 616217 DCDC2 605755
20 NPHP20 617271 MAPKBP1 616786


Quellen

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